Mehr als drei Jahre nach Beginn der grundlosen russischen Aggression erinnern uns die täglichen Bilder von Tod und Zerstörung durch russische Angriffe auf die ukrainische Bevölkerung und Städte an die Brutalität des Konflikts in der Ukraine. Damit kehrt nach mehr als siebzig Jahren der Krieg auf europäischen Boden zurück. Dieser Angriffskrieg hat – angefangen bei der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten – eine außergewöhnliche internationale Mobilisierung ausgelöst, um den heldenhaften Widerstand der Ukraine zu unterstützen. Als Zeichen seiner traditionellen Solidarität und seines Engagements an der Seite Kiews und seines Volkes hat unser Land seit Beginn des Konflikts humanitäre, finanzielle und weitere wirtschaftliche Unterstützung in Höhe von 2,5 Milliarden Euro sowie umfangreiche Verteidigungshilfen geleistet. Auf dem jüngsten NATO-Gipfel in Den Haag haben wir gemeinsam mit allen internationalen Partnern unsere Geschlossenheit bei der Unterstützung der Bemühungen von Präsident Selenskyj um einen Waffenstillstand sowie einen gerechten und dauerhaften Frieden bekräftigt. Die Unterstützung der Ukraine bleibt eine Priorität für unsere Sicherheit und unsere Zukunft.
Vom Konflikt in der Ukraine bis zur jüngsten Krise zwischen dem Iran und Israel erleben wir derzeit eine Aufspaltung der internationalen Landschaft, wie wir sie bisher kannten.
Um uns Europäer herum nehmen die Krisenherde weiter zu und stellen die Stabilität und den Wohlstand, an die wir gewöhnt waren, in Frage. Als italienische Regierung setzen wir uns unermüdlich für den Frieden und die Verringerung der Auswirkungen von Konflikten auf die Bevölkerung ein. Im Sinne der Botschaft von Papst Leo XIV., uns nicht an den Krieg zu gewöhnen, dürfen wir die Hoffnung nicht aufgeben, dass die Waffen schweigen und Diplomatie und Dialog die Oberhand gewinnen.
Wie ich immer gesagt habe, hängen die Zukunft und die Unabhängigkeit der Ukraine auch vom Wiederaufbau des Landes ab. So können wir einem Volk Hoffnung geben, das seit mehr als drei Jahren hartnäckig Widerstand gegen den Krieg leistet, und die ukrainische Gesellschaft auf ihrem Weg der Annäherung an die Europäische Union unterstützen. In diesem Sinne ist Italien Gastgeber der Ukraine-Wiederaufbaukonferenz am 10. und 11. Juli. Zu dieser Veranstaltung in der eindrucksvollen Kulisse des Palazzo della Nuvola haben wir als italienische Regierung gemeinsam mit unseren ukrainischen Amtskollegen fast hundert Länder, Dutzende internationale Organisationen und Finanzinstitutionen, 2.500 Unternehmen, lokale Behörden sowie italienische, ukrainische und internationale zivilgesellschaftliche Vereinigungen eingeladen. Es handelt sich um die wichtigste jährliche internationale Veranstaltung für das Land. Zu den Themenschwerpunkten gehören der Wiederaufbau, die Reformen und die Modernisierung der Ukraine.
Ziel der Veranstaltung ist es, öffentliche und private Akteure zusammenzubringen mit dem Ziel, Verpflichtungen, Programme und wirtschaftliche Vereinbarungen festzulegen, um die Wiederaufbaubemühungen gemeinsam zu gestalten. Die Diskussionen auf der Konferenz werden sich auf vier Hauptbereiche oder besser gesagt „Ebenen“ konzentrieren: Wirtschaft, Menschen, örtliche und regionale Ebene sowie Reformen auf dem Weg zum EU-Beitritt. In den vergangenen Monaten fanden dazu wichtige Vorbereitungsveranstaltungen in Mailand, Kiew, Brüssel und Verona statt. Im Mittelpunkt der Arbeiten stehen ein Forum zum Wiederaufbau und eine Fachmesse für Unternehmen. Das Forum gliedert sich in Seminare und fachspezifische Workshops zu den für die ukrainische Wirtschaft wichtigsten und vielversprechendsten Sektoren, während die Messe italienischen, ukrainischen und internationalen Unternehmen die Möglichkeit bietet, ihre Projekte für das Land vorzustellen, sich zu treffen und Wege der Zusammenarbeit zu erkunden, auch mit ukrainischen lokalen Behörden, welche die wichtigsten Investitionsmöglichkeiten vorstellen werden. Die Unterstützung der Ukraine ist meiner Meinung nach nicht nur eine Pflicht, sondern auch eine außergewöhnliche Chance für gemeinsames Wachstum. Den jüngsten Schätzungen der Weltbank zu den Kriegsschäden zufolge belaufen sich die Gesamtkosten für den Wiederaufbau auf 500 Milliarden Euro. Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Nach Angaben der Weltbank benötigt der Verkehrssektor in den nächsten zehn Jahren fast 78 Milliarden Dollar für den Wiederaufbau. Davon entfallen allein auf den Eisenbahnsektor (Gleise, Brücken, Bahnhöfe, elektrische Anlagen usw.) geschätzte Investitionen in Höhe von 15 Milliarden Dollar. Ich bin überzeugt, dass unsere Unternehmen einen außerordentlichen Beitrag dazu leisten können: Sie können die Chancen der Finanz- und Versicherungsinstrumente nutzen, die gemeinsam einen Beitrag zum Wiederaufbau des Landes ermöglichen.
Damit aber nicht genug: Für uns wird es eine Priorität sein, den Menschen und den KMU, die sowohl in der Ukraine als auch in Italien das Rückgrat der Wirtschaft bilden, konkret unter die Arme zu greifen.
Laut OECD machen die KMU 99,9% der Unternehmen in der Ukraine aus, beschäftigen 81,6% der Erwerbstätigen und erwirtschaften mehr als 70 Prozent der Wertschöpfung der inländischen Produktion. Diese Unternehmen wollen ihre Zusammenarbeit mit Europa ausbauen. Daraus ergeben sich zahlreiche Möglichkeiten für unsere Unternehmen, die wir durch die Konferenz fördern möchten.
Der Wiederaufbau erfolgt auch über den Kulturbereich, in dem Italien weltweit eine führende Rolle spielt. Seit Beginn meiner Amtszeit, nach der Aufnahme der Hafenstadt Odessa in die Liste des gefährdeten Weltkulturerbes, habe ich mich nachdrücklich dafür eingesetzt, dass unser Land gemeinsam mit der UNESCO zum Wiederaufbau des durch Bombenangriffe zerstörten Daches der Kathedrale beiträgt. Mit der Konferenz werden wir außerdem die „Rome Declaration for Science, Research and Innovation in Ukraine” auf den Weg bringen, die vom Ministerium für Hochschulen und Forschung in Zusammenarbeit mit dem ukrainischen Ministerium für Bildung und Wissenschaft, der Europäischen Kommission und unter Mitwirkung der UNESCO gefördert wird.
Der Wiederaufbau der Ukraine nach westlichen Standards ist eine historische Chance und ein gerechtes Unterfangen, um einem Volk, das sein Schicksal frei bestimmen will, wieder eine Perspektive für Wachstum und Wohlstand zu geben. In diesem Sinne arbeiten wir für den Erfolg dieser internationalen Veranstaltung, an der alle Minister unserer Regierung teilnehmen. Es bleibt noch viel zu tun. Italien wird jedoch stets die legitimen Bestrebungen des ukrainischen Volkes unterstützen, wieder in das gemeinsame Haus zurückzukehren, das wir nunmehr seit 75 Jahren, d. h. seit der Verabschiedung der Schuman-Erklärung am 9. Mai 1950, mit großen Anstrengungen und Opfern errichten. Die Konferenz von Rom wird sicherlich als wichtiger Schritt in diese Richtung in Erinnerung bleiben.