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Rede S.E. Benassi zum 70. Geburtstag der Italienischen Republik, 2. Juni 2016

Sehr geehrter Herr Präsident des Deutschen Bundestages,

verehrte Staatsminister und Staatssekretäre,

sehr geehrte Mitglieder des Bundestages,

Exzellenzen, liebe Kollegen des diplomatischen Korps,

liebe Landesleute,

meine Damen und Herren,

 

Ich freue mich sehr in diesem Jahr wieder gemeinsam mit so vielen Italienfreunden den 70. Jahrestag der Ausrufung der Italienischen Republik zu feiern.

Im vergangenen Jahr sind die institutionellen Beziehungen zwischen Italien und Deutschland noch bedeutender geworden. Es gab wichtige Begegnungen in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Kultur und im Rahmen der wissenschaftlich-technologischen Zusammenarbeit. Bei diesen Gelegenheiten konnte das ohnehin schon ausgezeichnete Niveau der Beziehungen zwischen beiden Ländern noch mehr verbessert werden.

Neben diversen Treffen der Regierungsmitglieder Italiens und Deutschlands, wurde in den letzten zwölf Monaten die Zusammenarbeit im parlamentarischen Bereich wesentlich intensiver. Diese Verbindungen, zusammen mit den Beziehungen zwischen den Zivilgesellschaften sind besonders wichtig, denn sie verstärken die gegenseitige Kenntnis voneinander und damit die politische Zusammenarbeit. Davon profitieren nicht nur die Freundschaft zwischen Rom und Berlin – es erleichtert endlich Antworten auf die europäischen Fragen zu finden.

Wichtig ist meines Erachtens in dieser historischen Phase, in der Europa vor großen Herausforderungen steht, vor allem eines. Man darf die Bewältigung der verschiedenen Herausforderungen nicht allein an die Regierungen delegieren. Man sollte den wichtigen Beitrag, den ein gefestigter parlamentarischer Dialog hierbei leisten kann, nutzen.

Die vielfältigen Dimensionen der deutsch-italienischen Freundschaft – ob nun Traditionen oder Erwartungen an die Zukunft – sind gerade deshalb so wichtig, weil sie alle Ebenen der Beziehungen zwischen den jeweiligen Zivilgesellschaften berühren: von der Politik zum tief verwurzelten System der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen bis hin zum Kulturaustausch. Ein so hohes Niveau der bilateralen Verbindungen ist gerade in schwierigen Zeiten, wie wir sie derzeit erleben, das wichtigste Instrument, das wir zur Verfügung haben. Es hilft uns, vertrauensvoll in die Zukunft zu blicken. Dabei wissen wir jedoch nur zu gut, dass Vertrauen “alleine” nicht genug ist. Es muss nämlich durch solide Projekte untermauert werden, die gemeinsamen Perspektiven dienen.

Es gibt kein Thema der Europäischen Union, bei dem Italien und Deutschland nicht die gleichen Ziele teilen: von der politischen Zusammenarbeit im Sicherheits- und Verteidigungsbereich bis zur Terrorismusbekämpfung; zum Wachstum von Wirtschaft und Beschäftigung; von den Außenbeziehungen der Union einschließlich der Entwicklungszusammenarbeit bis zur Steuerung der Migrationsströme. Wir haben einen beachtlichen Acquis Communautaire, der jedoch in den Dienst der Herausforderungen gestellt werden muss, vor denen wir stehen. Wenn nötig, heißt das auch, ihn im Einklang mit den europäischen Werten zu aktualisieren.

Gemeinsamen Zielen steht manchmal eine unterschiedliche Sensibilität gegenüber, wenn es darum geht, welche Instrumente für das Erreichen dieser Ziele am besten geeignet sind. So ist das zum Beispiel bei der europäischen Debatte über die Währungspolitik der Eurozone. Wenn aber die Ziele übereinstimmen – wie es zwischen Rom und Berlin der Fall ist – dann müssen wir zusammenarbeiten, um eine Lösung im Hinblick auf die Instrumente zu finden. Hier denke ich in erster Linie an Wachstum und Beschäftigung.

Diese Konvergenz zwischen Italien und Deutschland bestätigte sich auch bei den jüngsten Treffen auf hochrangiger Ebene. Von italienischer Seite wurde darauf hingearbeitet, auch operativ jeden möglichen Beitrag zu einer Debatte zu leisten, deren Ziel die notwendigen Entscheidungen sind.

Auf politischer Ebene denke ich an die mit den Gründerstaaten begonnene und auch mit anderen Mitgliedstaaten offenstehende Reflexion darüber, wie man sich dem im nächsten Frühjahr anstehenden Termin des 60. Jahrestages der Unterzeichnung der Römischen Verträge nähern soll. In Sachen Wirtschaft denke ich an das italienische Dokument “A Shared European Policy Strategy for Growth, Jobs, and Stability”. Mit diesem Beitrag soll ein Weg gefunden werden, wie wir alle gemeinsam wieder einen Wachstumspfad einschlagen können. Bezüglich der Migrationspolitik denke ich vor allem an den kürzlich vorgelegten italienischen Vorschlag “Migration Compact”. Er soll die Instrumente für eine europäische Antwort auf die Herausforderung der Migrationsströme im zentralen Mittelmeerraum liefern. Dieses Dokument wurde vom letzten Rat für Auswärtige Angelegenheiten begrüßt. Es schlägt gezielte Lösungen für viele Teilaspekte dieses Migrationsphänomens vor. Im Hintergrund zu alledem steht der strategische Ansatz, Afrika als Partner zu sehen und nicht als die Quelle unserer Probleme.

Heute wird der Begriff Europa zu häufig und fast ausschließlich mit den international auftretenden Krisen und Herausforderungen in Verbindung gebracht – wirtschaftspolitisch sowie geopolitisch im Bezug auf seine Grenzen. Bei jedem neuen Alarm wird der Fortbestand seiner Institutionen selbst in Frage gestellt. Wenn von diesem Europa die Rede ist, wird es so bezeichnet, als sei Europa rein abstrakt. Dabei vergisst man, dass Europa auch die Summe unseres Verhaltens, unserer Entscheidungen und unserer Projekte ist. Mit einfachen Worten: Europa, das sind wir.

Wirtschaftskrisen und internationale Krisen erzeugen einen enormen Druck. Legitim und natürlich real sind auch die Ängste in der Gesellschaft. Oft denkt man mit Sorge an die politischen Folgen, die diese Ängste durch das Auftauchen systemfeindlicher Kräfte haben können. Das sind Ängste, auf die eine Antwort notwendig ist. Populistische Schübe sind nur eine ihrer Folgen. Ängste sind immer legitim und meistens begründet. Ein großer Vertreter des italienischen Risorgimento wie Massimo D’Azeglio sagte einmal zum König von Sardinien über einige Aufstände im damaligen Italien: „Majestät, wer leidet hat als Einziger das Urteil in der großen Frage: was man nicht mehr ertragen kann“ (Sire, chi soffre è il solo giudice della gran questione del non poterne più”).

Die bessere Antwort auf das immer legitime Missbehagen sind also Projekte und nicht die Verdammung derjenigen, die sich das Unbehagen politisch zu Nutze machen.

Damit man das schafft, ist gemeinsames Handeln bei Weitem vorzuziehen. Man kann nämlich zusammen sein, obwohl man verschieden ist, denn unsere Identität steht in der Union nie auf dem Spiel. “In Vielfalt geeint”, so lautet das Motto unserer Verträge. Wer glaubt, seine Identität dadurch besser schützen zu können, dass er seine Bindungen an Europa löst, der läuft Gefahr die Kraft der Union zu verlieren. Die Schwäche zeigt sich im Handeln im Alleingang – und das ganz unabhängig von ökonomischen Berechnungen. Ein Einzelkämpfer ist, in der Tat, ein Einzel-looser !

Italien und Deutschland zählen – wie ich glaube – nicht nur zu den EU-Mitgliedern, die davon am stärksten überzeugt sind. Sie sind auch ein Beispiel für alle, die ein Wiederauferstehen nach den Tragödien der Vergangenheit erlebt haben.

Und diese Wiedergeburt Italiens feiern wir heute am 70. Geburtstag der Republik.

Ein einflussreiches deutsches Regierungsmitglied sagte vor Kurzem: „Die europäische Integration ist das Beste, was uns in den letzten 200 Jahren passiert ist!“ Ich weiß nicht, welches Kriterium er bei der Zahl der Jahre angelegt hat, aber inhaltlich bin ich sicher, dass er auch in meinem Land viele Unterstützer finden würde – mich eingeschlossen.

Vielen Dank!