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Gastkommentar des Botschafters der Italienischen Republik Pietro Benassi, erschienen am 12. August 2016 in „Die Welt“ auf Seite Drei

GASTKOMMENTAR (Originaltext)

Made in Italy
PIETRO BENASSI

Zu den vielen Herausforderungen für Europa in diesem Sommer 2016 gehört nicht zuletzt die Art und Weise, wie wir Europäer uns selbst sehen. Seit Beginn der Wirtschafts- und Finanzkrise ist die mediale Darstellung Europas von gegenseitigen klischeebehafteten Schuldzuweisungen geprägt. Dazu gehören leider in letzter Zeit einseitige Berichterstattungen über Italien und seine Wirtschaft, die der Realität des Ganzen nicht gerecht werden. Dieser Tendenz konnte sich bedauerlicherweise selbst die „Welt“ nicht ganz entziehen. Sicherlich hat Italien unter den Konsequenzen der 2008 in den USA entstandenen Krise sehr gelitten. Aber die italienische Regierung und die Italiener haben unheimliche Anstrengungen auf sich genommen, um diese zu bewältigen, strukturelle Reformen durchzuführen und gleichzeitig die finanzielle Stabilität zu erhalten – und das während der längsten Wirtschaftskrise seit der Nachkriegszeit. 2015 wächst die italienische Wirtschaft erstmals wieder nach drei aufeinanderfolgenden Jahren des Rückgangs und verzeichnet eine Wachstumsrate von real 0,8 Prozent. Auch wenn sich die internationale Konjunktur in den letzten Monaten verschlechtert hat, wird das italienische Bruttoinlandsprodukt voraussichtlich weiter steigen, und auch die Zahl der Arbeitsplätze wächst wieder. Zu verdanken ist dies auch der Stärke des Labels „Made in Italy“. Unsere Handelsbilanz – ohne Energieprodukte – steht mit einem Überschuss von 87,2 Milliarden USD weltweit an fünfter Stelle. Dies verdeutlicht die starke internationale Wettbewerbsfähigkeit der italienischen Industrie. Italien hat einen umfassenden Reformprozess auf den Weg gebracht. Einiges davon ist schon verwirklicht: die Reformen des Arbeitsmarktes (Jobs Act), der öffentlichen Verwaltung, des Schulwesens, der Zivilgerichtsbarkeit. Die Verfassungsreform, welche die Gesetzgebung vereinfachen soll, wurde vom Parlament verabschiedet und muss jetzt per Referendum von den Wählern gebilligt werden. Was die Finanzstabilität angeht, ist Italien das einzige europäische Land, das seit mehr als 23 Jahren mit Ausnahme von 2009 einen Primärüberschuss zu verzeichnen hat, d. h. die Staatsausgaben – ohne Schuldentilgung – sind seit 20 Jahren strukturell niedriger als die Einnahmen. Dank der mutigen Rentenreformen der letzten Jahre ist die Staatsverschuldung langfristig eine der nachhaltigsten in Europa. Die Senkung der Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP bleibt zwar eine Herausforderung, die jedoch nicht nur von den Schulden, sondern auch vom Wachstum des BIP abhängt. Leider ist das Wachstum immer noch gering, auch weil die Rezepte für die Euro-Zone prozyklisch waren, d. h. die Rezession wurde durch die Sparmaßnahmen und die daraus entstehende schwache Nachfrage weiter verlängert. Deshalb plädieren wir für eine wachstumsfreundlichere Wirtschaftspolitik in Europa. Wirtschaftspolitisch war Europa in den letzten Jahren weniger erfolgreich als die USA, die eine konsequente, wachstumsfördernde Politik verfolgt haben. Wachstum und Beschäftigung bilden auch die Voraussetzung für ein bürgernäheres Europa, das wir alle so dringend brauchen: Wie Ministerpräsident Renzi, Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Hollande bei ihrem Treffen im Juni – ein zweites wird bald folgen – bekräftigten, muss Europa sein Wohlstandsversprechen an seine Bevölkerung halten. Dafür brauchen wir Europäer keine Klischees, sondern mehr Einsicht und Bewusstsein für die Kraft unserer europäischen Vielfalt.

Der Autor ist Botschafter der Italienischen Republik in Berlin