BOTSCHAFT ANLÄSSLICH DES 60. JAHRESTAGES DER TRAGÖDIE VON MARCINELLE
Am heutigen 8. August 2016 jährt sich zum 60. Mal die Bergwerkskatastrophe von Marcinelle, die größte Tragödie, die unsere Auswanderer in Europa getroffen hat. Damals im August 1956 starben in der Grube von Bois du Cazier 262 Arbeiter aus allen Teilen des Alten Kontinents. 136 von ihnen waren nach Belgien ausgewanderte Italiener.
Seit 2001 begehen wir am 8. August den nationalen Gedenktag der italienischen Arbeitsopfer in der Welt “Giornata nazionale del sacrificio del lavoro italiano nel mondo”, um an die Landsleute zu erinnern und sie zu ehren, die bei der Arbeit im Ausland, mit der sie zum Wachstum und Fortschritt ihrer Gastländer beigetragen haben, ihr Leben verloren.
Im Gedenken an Marcinelle bekräftigen wir das in unserer Verfassung verankerte Recht eines jeden Bürgers auf Arbeit und die Notwendigkeit, allen Arbeitnehmern weltweit eine Ausübung ihres Berufes in Sicherheit und Würde zu garantieren.
Im derzeitigen Klima der Unsicherheit in Europa angesichts des Zusammentreffens unterschiedlicher Herausforderungen, wie Terrorismus, Migrationsströme, Brexit, die Auswirkungen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten auf die Beschäftigung vor allem junger Menschen, sollten wir darüber nachdenken, wie das Opfer von Marcinelle nicht vergeblich gewesen sein könnte. Das schwere Unglück lenkte die Aufmerksamkeit der europäischen Institutionen – die gerade in jenen Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden und sich festigten – mit auf die Notwendigkeit der Verabschiedung besserer Schutzmaßnahmen für Arbeitnehmer, deren Mobilität zwischen den Mitgliedstaaten des neuen “Europäischen Hauses” so zum Kern einer unserer Grundfreiheiten, nämlich der Freiheit der Person, wurde.
Bestreben unserer Vorgänger war der Aufbau eines geeinten, solidarischen Europas, das Frieden und Entwicklung, jene Werte der Toleranz und der Freiheit voranbringt, die wir Europäer als ein Paradigma der Zivilisation betrachten. Auf dieses Europa, das wir erneuern und wachsen lassen wollen, blicken heute viele Männer und Frauen mit Hoffnung. Sie fliehen vor Kriegen und der Verletzung von Grundrechten, vor Unterentwicklung und Ungleichheit und sind allzu oft ebenso wie die Opfer von Marcinelle bereit, die Suche nach einer besseren Zukunft mit dem Leben zu bezahlen.
Diesen Männern und diesen Frauen müssen wir genauso wie auch den vielen europäischen Bürgern, die in der derzeitigen schwierigen Phase die Orientierung verloren haben, wirkungsvolle und weitblickende Antworten geben, die ihr tägliches Leben beeinflussen können, und so das Vertrauen in die Institutionen und das Projekt eines neuen, zusammenhaltenden und wettbewerbsfähigen Europas neu beleben. Das schulden wir auch den Opfern von Marcinelle und den Millionen unserer Auswanderer, die mit ihrem Fleiß und ihrem Können zur Entwicklung ihrer Aufnahmegesellschaften beigetragen haben. Genauso auch den vielen Italienern, die noch heute ins Ausland gehen, um zu arbeiten und so auch weiterhin weltweit das Bild von einem aktiven und arbeitsamen Italien verbreiten.
Paolo Gentiloni