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01.11.2021: Vortrag des Botschafters Armando Varricchio Deutschland und Italien Hauptakteure für die Zukunft Europas“

Liebe Studierende,
Liebe Professoren,
Sehr geehrter Herr Prof. Günter M. Ziegler (Präsident der Freien Universität Berlin),
Sehr geehrter Herr Prof. Bernhard Huss (Direktor des Italienzentrums an der Freien Universität Berlin),

es ist wirklich eine große Freude, heute hier an Ihrer Universität zu sein, einem Ort der Kultur und des Wissens, an dem durch Studium und Diskussion Ideen geboren werden, wachsen und zu Taten werden können.
Eine noch größere Freude ist es, vor deutschen Studierenden und Forschern zu stehen, die sich für die italienische Kultur begeistern, und vor italienischen Studierenden, die in Deutschland einige Themen vertiefen.
Jeder von Euch trägt in seinem Bereich und auf seine Weise – vielleicht unbewusst – dazu bei, die Beziehungen zwischen Deutschland und Italien zu fördern.

„Die edle und zwingende Herausforderung, vor der unsere Länder stehen, besteht darin, gemeinsam ein Projekt für die Zukunft aufzubauen. Dieses sowohl bilaterale als auch europäische Projekt muss auf gemeinsamen Entscheidungen und Verantwortlichkeiten beruhen. Ferner muss es den Vorstellungen unserer Mitbürger entsprechen und in der Lage sein, den Erwartungen der jungen Generationen unseres Kontinents gerecht zu werden“ .*
Mit diesen Worten wandte sich der Präsident der Italienischen Republik, Sergio Mattarella, bei seinem letzten Berlin-Besuch am 12. Oktober an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, mit dem ihn seit langem eine tiefe Übereinstimmung in Werten und Zielen verbindet.
Das Staatsoberhaupt unterstrich die zugleich bilaterale und kontinentale Ausrichtung des Handelns unserer Länder. Ebenso betonte er die Erwartungen der jüngeren Generationen – Eure Erwartungen – und wie wichtig es ist, dass darauf angemessene Antworten gegeben werden.

Ihr werdet Euch fragen, was die italienischen und deutschen Institutionen tun, um diesem Appell des Staatsoberhauptes gerecht zu werden. Ihr werdet Euch zu Recht fragen: Wie arbeiten wir als Partner daran, dieses gemeinsame europäische Haus zu bauen, das auch das Eure sein wird?

Wie in der Wissenschaft beginnen wir damit, uns den Status quo anzusehen, aber zuvor auch, von wo wir ausgehen und wo wir stehen.
Von wo gehen wir aus? Wie Ihr wisst, haben wir schwierige Jahre hinter uns. Die Auswirkungen der Finanzkrise, die 2008 zunächst die Vereinigten Staaten traf und dann auf den Rest der Welt übergriff, haben auf dem europäischen Kontinent zu einer mitunter angespannten Debatte und hitzigen Diskussionen über die zu treffenden Entscheidungen geführt.
In den letzten Jahren haben viele betont, was uns trennt, die Kluft zwischen Nord und Süd, als ob die Alpen nicht nur eine geografische Gegebenheit, sondern ein unüberwindliches kulturelles Hindernis wären.
Manche haben in diesen Jahren von einer „Fiskalpolitik Südeuropas“ gesprochen und dem eine sparsame Haltung des vermeintlichen Nordens gegenübergestellt. Das ist mehr Mythos als Realität, wenn man bedenkt, dass gerade Italien in den letzten zehn Jahren den Gürtel enger geschnallt hat, um die primären Staatsausgaben so weit zu senken, dass sie die Einnahmen nicht überschreiten.
Dennoch fehlte es nie an den gemeinsamen Zielen und dem Grundzusammenhalt und erst recht nicht an den gemeinsamen Werten.
Das haben wir während der akuten Phase der Covid-19-Pandemie klar gesehen.
Kein Italiener, der in Deutschland lebt, wird die vielen herzlichen Artikel vergessen, die in den schwierigsten Momenten der Pandemie in deutschen Zeitungen erschienen, das „Wir vermissen euch“ und die vielen Äußerungen der deutschen Sehnsucht nach Italien, dem vermissten Land der Phantasie.
Trotz der äußerst schwierigen Bedingungen und obwohl sie zum ersten Mal mit einer gesundheitlichen Herausforderung dieser Größenordnung konfrontiert waren, nahmen sächsische Krankenhäuser zahlreiche italienische Patienten auf, und bayerische Unternehmer organisierten privat Flugzeuge, um dringend benötigte medizinische Güter nach Italien zu transportieren.
In all diesen Episoden konnten wir die Koine, das gemeinsame europäische Haus der Mitgliedstaaten, mit Händen greifen, sobald wir uns des Ausmaßes der vor uns stehenden Herausforderung bewusst wurden.

Und wo stehen wir?
Ich brauche nicht weiter zu betonen, dass Italien und Deutschland starke und tief verwurzelte bilaterale Beziehungen haben. Dennoch möchte ich nur ein paar Zahlen nennen, um Ihnen eine Vorstellung davon zu vermitteln, wie stark und tief verwurzelt diese Beziehungen sind.
Beginnen will ich mit einem Blick auf die Wirtschaft. Die Beziehungen zu Deutschland sind für unser Land weltweit einzigartig: ein Handelsvolumen von mehr als 116 Milliarden im Jahr 2020 mit einem Wachstum von 24 % im ersten Halbjahr 2021 (das höchste unter allen ausländischen Märkten). Das ist eine schlicht unverzichtbare Beziehung.
Denn der Grad der Verflechtung zwischen Deutschland und Italien ist so hoch, dass man bei einer Analyse unserer Wertschöpfungsketten geradezu von Osmose sprechen könnte. Ein Beispiel veranschaulicht, wovon wir sprechen: Während der Pandemie musste die Automobilproduktion in Süddeutschland wegen der fehlenden Lieferungen aus Italien gedrosselt oder in einigen Fällen sogar eingestellt werden. Ohne die Bremsen aus Italien konnte man viele deutsche Autos nicht als vollständig betrachten.
Neben einer globalen wirtschaftlichen Ausrichtung, einer Offenheit (und auch Abhängigkeit) gegenüber dem internationalen Handel unterstützen Italien und Deutschland aus voller Überzeugung eine regelbasierte Weltordnung. Als Exportnationen brauchen wir ein Handlungsumfeld, in dem alle Konkurrenten nach den gleichen Regeln spielen. Aus diesem Grund schenken Italien und Deutschland globalwirtschaftlichen Formaten wie G7 und G20 seit jeher große Aufmerksamkeit und spielen in diesen Kontexten ein großartiges „Spiel über Bande“.

Wie Sie vielleicht wissen, geht die Gründung der G20 vor fast genau 20 Jahren tatsächlich auf eine deutsche Initiative zurück, die 1999 im Abschlusskommuniqué des G7-Gipfels in Köln verkündet wurde.
In der Folge gab es auf multilateraler Ebene mehrfach starke Synergien zwischen Italien und Deutschland, so etwa 2017 zwischen der deutschen G20-Präsidentschaft und der italienischen G7-Präsidentschaft. Dank dieser war es möglich, eine gemeinsame Formulierung zum Schutz einer „regelbasierten internationalen Ordnung“ in die Abschlusskommuniqués der Gipfeltreffen von Taormina und Hamburg aufzunehmen.
Darüber hinaus konnte dank der Zusammenarbeit zwischen den Sherpas aus Italien und Deutschland die Integrität des Pariser Abkommens von 2015 gewahrt und verhindert werden, dass der Rückzug der USA bei den Verpflichtungen der anderen G20-Partner einen Wettlauf nach unten auslöst.
Auch während des italienischen G20-Vorsitzes, der mit dem Gipfeltreffen am vergangenen Wochenende zu Ende ging, war die Synergie zwischen Italien und Deutschland eine solide Basis, auf der man arbeiten konnte, um die gemeinsame Vision der Welt und die gemeinsamen Werte, die unsere Länder auszeichnen, zu bekräftigen.

Last but definitely not least: die kulturellen Beziehungen. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Kultur nicht nur für den Aufbau einer soliden bilateralen Beziehung wichtig ist, sondern „ganz einfach“ auch für eine schönere und harmonischere Art und Weise, in der jeder Einzelne seine Fähigkeiten voll zum Ausdruck bringen kann.
Und die Kultur stellt ein grundlegendes und fruchtbares Kapitel in den Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern dar, das in allen Bereichen außerordentlich reich und konstruktiv ist. Als Erben einer jahrhundertealten Tradition gegenseitiger Beeinflussung speist sich der Austausch zwischen Italien und Deutschland weiterhin aus einer ständig wachsenden Vielzahl von Initiativen.
Das Netzwerk der 24 deutschen Kultureinrichtungen in Italien ist das umfangreichste der Welt. Das Netz italienischer Kultur- und Sprachinstitutionen in Deutschland ist eines der dichtesten im Ausland. Es umfasst fünf italienische Kulturinstitute (die größte Zahl weltweit), 17 Italienisch-Lektorate an romanistischen Fakultäten und die Italienzentren an deutschen Universitäten. Sie sind – wie die Veranstaltung am heutigen Abend deutlich zeigt – ein Nährboden für Initiativen, die Brücken schlagen und den Dialog zwischen den Kulturen beider Länder pflegen.
Der wissenschaftliche und akademische Austausch ist nach wie vor sehr rege: Italien ist nach China das zweitwichtigste Herkunftsland für ausländische Studierende, die sich für einen Studienaufenthalt in Deutschland entscheiden. Für Forscher ist es das erste und für Hochschullehrer nach Österreich und der Schweiz das dritte; also wiederum das erste nicht-deutschsprachige Land.
Auf dieser Grundlage haben wir wichtige bilaterale Initiativen aufgebaut. Dazu zählt der Deutsch-Italienische Übersetzerpreis für literarische Übersetzung, der 2008 zum ersten Mal vergeben wurde und uns auch künftig alle zwei Jahre begleiten wird. Der Preis würdigt die Arbeit literarischer Übersetzerinnen und Übersetzer, die eine grundlegende Rolle als Kulturvermittler zwischen Italien und Deutschland spielen.

Wie Ihr seht, haben wir zwischen italienischen und deutschen Institutionen gemeinsam einen langen Weg zurückgelegt.
Jetzt, da die akuteste Phase der Pandemie für uns in Europa vorüber ist, haben wir jedoch die Aufgabe, über den Horizont hinauszuschauen und uns zu fragen: „Wohin wollen wir gehen?“.Vor allem müssen wir Handlungslinien festlegen und strategische Entscheidungen von grundlegender Bedeutung für Europa treffen:

1. Die erste Entscheidung, die getroffen werden muss, ist die zwischen dem Zugang zu Ressourcen/Geldern und den Rechten. Wir müssen uns fragen, wie hoch der Preis für unsere Rechte ist und wie weit die Verteidigung des harten Kerns der grundlegenden und unveräußerlichen Rechte geht, die unsere Union so sehr auszeichnen.

2. Die zweite Entscheidung betrifft die internen Mechanismen der Union, eine Herausforderung, die meine Generation bereits erlebt hat: Wir müssen unseren Entscheidungsprozess effizienter gestalten. Wir müssen lernen, als globaler Akteur zu entscheiden, und wir müssen lernen, schneller zu entscheiden, ohne deshalb die Dialektik aufzugeben, die ein so bedeutungsvolles Erbe für unseren Kontinent ist.

3. Die dritte Entscheidung betrifft den Wettbewerb: Im Grunde ist er eine Herausforderung für unsere Kreativität. Wir müssen neue Wege finden, um die Ziele der Digitalisierung und der Klimaneutralität zu erreichen und gleichzeitig unseren Wohlstand und unseren Lebensstil zu erhalten. Einige sagen, dass es schwierig sein wird – „Tertium non datur“.

Dennoch. Ist es nicht auch diese Suche nach neuen Wegen, welche die Europäische Union einzigartig macht?
Dies sind drei große Herausforderungen, die nur bewältigt werden können, wenn man ein Gleichgewicht zwischen Inklusion und Verantwortung findet. Angesichts dieser systemischen Herausforderungen dürfen einige Mitgliedstaaten die Rolle, die sie innerhalb der Union spielen, nicht verbergen. Einige wie zwei der führenden europäischen Herstellerländer, einige wie zwei der Gründerstaaten der Europäischen Union, einige wie Deutschland und Italien. Nicht um widerwillig die Hegemonisten zu spielen, sondern in dem Bewusstsein, dass sie unverzichtbare Akteure in der Ever closer Union sind.

Im Bewusstsein dieser Herausforderungen und der Notwendigkeit, das „Wohin gehen wir?“ festzulegen, spürten wir auf europäischer Ebene die Notwendigkeit, zusammenzukommen und uns das Europa von morgen vorzustellen. So wurde eine Konferenz zur Zukunft Europas ins Leben gerufen, eine gemeinsame Initiative des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission, die allen europäischen Bürgern die Möglichkeit bieten soll, die Herausforderungen und Prioritäten Europas zu erörtern und durch eine Reihe von Diskussionen und Debatten unter führender Beteiligung der Bürger über die Zukunft der Europäischen Union nachzudenken.
Die Konferenz, die im Mai letzten Jahres an den Start ging, soll im Frühjahr 2022 zu einem Ergebnis kommen.
Italien brachte als einer der ersten Mitgliedstaaten in Form eines sogenannten Non Papers seine Ideen zu den Modalitäten, Zielen und der Organisation der Konferenz ein.

Worüber sprechen wir in unserem Non-Paper? Ich möchte einige besonders wichtige Initiativen erwähnen:

1. Zunächst haben wir vorgeschlagen, europäische Vertretungsregelungen zu stärken, insbesondere die Rolle des Europäischen Parlaments, unter anderem durch die Formalisierung seines legislativen Initiativrechts. Wir sollten auch die Möglichkeit einer Harmonisierung der Wahlvorschriften für die Europawahlen prüfen, um die Grundlagen für eine politische Kampagne auf europäischer Ebene zu schaffen. Dies ist ein Vorschlag, der das gemeinsame Empfinden der „Erasmus-Generation“ widerspiegeln soll, zu der viele, vielleicht sogar alle von Euch gehören und das sich noch nicht in den europäischen Wahlverfahren widerspiegelt.

2. Zweitens haben wir vorgeschlagen, die Transparenz und Effizienz der Entscheidungsprozesse in der EU zu erhöhen. Rechenschaftspflicht und Verwaltungseffizienz sind ein Muss in einem Europa, das immer noch von Euroskepsis durchdrungen ist. Um der EU eine Zukunft zu geben, müssen wir die EU zu einem überzeugenden Produkt machen, das ohne allzu viel Marketing für sich selbst spricht.

3. In der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik wollen wir als Italien zu Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit übergehen, um die Lähmung durch Vetorechte einzelner Regierungen bei Entscheidungen zu vermeiden, die für die Stellung Europas in der Welt entscheidend sind. Wenn wir unser erklärtes Ziel, mehr Verantwortung zu übernehmen, verwirklichen wollen, müssen wir in unserem Entscheidungsprozess effizienter werden und natürlich bereit sein, mehr in personelle und finanzielle Ressourcen zu investieren.

Gleichzeitig schlagen wir vor, dass sich die Konferenz auf eine Reihe wesentlicher politischer Maßnahmen konzentrieren sollte, die sich mittel- bis langfristig direkt auf das Leben der Bürger auswirken.
Die Prioritäten sind Klima und Umwelt, Migration, Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion, Binnenmarkt, Industriepolitik, Steuerharmonisierung, die soziale Dimension und der Kampf gegen Ungleichheiten.

Ich nenne einige Beispiele:

1. Unsere Entscheidungsfreiheit…, d.h. die strategische Autonomie der Europäischen Union. Wir brauchen sie in mehreren Bereichen dringend, um Europa weniger exponiert und anfällig für Abhängigkeiten von anderen Akteuren zu machen. Diese Autonomie muss im Geiste einer engen Zusammenarbeit mit der NATO und im Rahmen einer starken transatlantischen Beziehung erreicht werden.

2. Die Verantwortung, Solidarität zu zeigen… d.h. eine wirksame und kohärente Migrationspolitik zu beschließen, in der die Solidarität, die derzeit bestenfalls auf freiwilliger Basis gegeben ist, strukturell wird.

3. Gesundheit, wie uns die Pandemie auf dramatische Weise gezeigt hat;

4. Der digitale Wandel, bei dem wir sehr stark in die Entwicklung von Technologien investieren müssen. Ich möchte nur zwei nennen: künstliche Intelligenz und sichere Konnektivität wie etwa 5G/6G;

5. Der „Green Deal“ ist nicht nur ein moralischer Imperativ zum Wohle künftiger Generationen, sondern auch eine große Chance, um Wachstum und Investitionen in Europa anzukurbeln;

6. Die Festlegung einer einheitlichen und kohärenten Wirtschafts- und Steuerpolitik für die gesamte Eurozone, die auf den positiven Erfahrungen der Initiative Next Generation EU aufbaut.

Wie Sie sehen können, wurden die meisten dieser Themen auch in unseren Nationalen Aufbau- und Resilienzplan in Italien aufgenommen. Mit der Umsetzung dieses Plans hat Italien ein umfangreiches Investitions- und Reformprogramm zur Modernisierung des Landes eingeleitet, an dem auch unsere künftigen Generationen beteiligt sein werden und bei dem Ihr die Hauptakteure sein werdet.
Was die von mir bereits erwähnten Wertschöpfungsketten betrifft, so werden die italienischen und deutschen Entscheidungsträger in Zukunft von den sehr aktuellen Fragen der Rohstoffversorgung und der Energiekosten ausgehen, die für zwei industriell geprägte Volkswirtschaften wie Deutschland und Italien, als wichtigstes bzw. zweitwichtigstes Herstellerland Europas, von grundlegender Bedeutung sind.
Alle, die in diesem Bereich arbeiten, sind sich dieser Zusammenhänge sehr wohl bewusst. Die Produktionssektoren sind das Rückgrat der bilateralen Beziehungen. Auf ihnen und gemeinsamen Idealen beruhen die gemeinsamen Standpunkte, die wir zu den meisten wichtigen Dossiers der europäischen Agenda verfassen.

 Ich möchte mich nur auf den wirtschaftlichen Bereich beschränken und an das Engagement im Zusammenhang mit der Umsetzung der nationalen Aufbau- und Resilienzpläne, die Ziele für den digitalen und grünen Wandel, die Innovationsentwicklung und die Zusammenarbeit in Europa erinnern. So soll sichergestellt werden, dass die EU über die technologische Souveränität verfügt, die sie braucht, um im immer härteren internationalen Wettbewerb, insbesondere mit den asiatischen Konkurrenten, mithalten zu können.
Unsere Aufgabe als Institutionen ist es, diese Bemühungen zu unterstützen und zu fördern. Es gilt, im Zusammenspiel mit allen öffentlichen und privaten Akteuren in einem systemischen Ansatz zu agieren.
Unsere Entwicklungsperspektiven stehen in direktem Zusammenhang mit der Fähigkeit, unsere bilaterale Partnerschaft zu stärken und sie auf bisher weniger als die traditionellen Bereiche erforschte Gebiete auszudehnen, wie Hochtechnologie, fortschrittliche Fertigung, Luft- und Raumfahrt, Verteidigung, Kreislaufwirtschaft und Forschung.
Wie Ihr wisst, sind die beiden Länder in vielen Innovationsbereichen weltweit führend. Es wird wichtig sein, Seite an Seite mit den anderen europäischen Partnern zu arbeiten, angefangen beim Important Project of Common European Interest (IPCEI), das derzeit zu Schlüsselthemen für die Entwicklung der nächsten Jahrzehnte läuft: Wasserstoff, Cloud, Mikroprozessoren, Batterien und Smart Health.
Aber auch im kulturellen Bereich bereiten wir ein großes Ereignis für die italienische Kultur als Ganzes vor: Italien wird nämlich Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2024 sein, ein außergewöhnliches Schaufenster, um die italienische Kulturszene Deutschland und dadurch der ganzen Welt zu präsentieren.
Davor wird Italien im Februar 2022 im Rahmen der Berlinale „Country in Focus“ des European Film Market sein: eine weitere wichtige Gelegenheit für die Sichtbarkeit und Aufwertung einer Kulturindustrie – der Filmindustrie -, die stark dazu beigetragen hat, das Bild Italiens im Ausland und auch im eigenen Land zu prägen.
Wie Ihr seht, sind dies alles Bereiche, in denen Italien, Deutschland und Europa ihre Führungsrolle stärken sollten.

Neben den gerade genannten Themen sollten die Bürgerinnen und Bürger im Mittelpunkt der Konferenz zur Zukunft Europas stehen: Jede Veränderung auf europäischer Ebene muss einen demokratischen und offenen Ansatz haben, um glaubwürdig und dauerhaft zu sein. Aus diesem Grund bemüht sich Italien um eine Sensibilisierung der Bürger für die behandelten Themen, um eine möglichst breite Beteiligung zu erreichen.
Italien will vor allem Euch junge Menschen einbeziehen. Mit einer Jugendkonferenz in Rom und im November mit einem Treffen, das Jungen und Mädchen aus den westlichen Balkanländern offensteht, bietet sich die Gelegenheit, die europäische Perspektive unter den jungen Generationen der westlichen Balkanländer wach zu halten.

Eine ähnliche Initiative wird auch am 3. Dezember im Rahmen des Med Dialogues Youth Forums stattfinden. Bei dieser Gelegenheit werden junge Menschen aus den südlichen Mittelmeerländern über das Thema Energiewende und das Modell des europäischen „Green Deal“ diskutieren.

Aber das ist noch nicht genug. Auf deutsch-italienischer Ebene haben wir kürzlich das Spinelli-Forum ins Leben gerufen, bei dem sechzig junge deutsche und italienische Führungskräfte zusammenkamen, um über die großen politischen Herausforderungen unseres Kontinents und die Impulse zu diskutieren, die eine verstärkte Beziehung zwischen den Zivilgesellschaften unserer beiden Länder bringen könnte. Am Ende der zweitägigen Diskussion erarbeiteten die Teilnehmer aus beiden Ländern konkrete politische Empfehlungen, die auf der Plattform der Konferenz zur Zukunft Europas vorgestellt werden.
Wie Ihr seht, ist es uns mit der Einbeziehung junger Menschen ernst. Denn die Beteiligung junger Menschen, Eure Beteiligung, ist heute entscheidend.
Es handelt sich dabei keineswegs um einen Slogan, sondern um die Anerkennung der Realität: Die heutigen Herausforderungen, angefangen beim Klimawandel, haben eine räumlich-zeitliche Dimension erreicht, die eine generationen-übergreifende Arbeit erfordert.
Heute pflanzen wir Bäume und wissen, dass wir nicht diejenigen sein werden, die in ihrem Schatten sitzen. Und wir wissen, dass in ihrem Schatten junge Menschen wie Ihr sein werden, die viel besser als wir darin geschult sind, interkulturelle Zusammenhänge zu verstehen, und die in der Lage sind, resiliente Protagonisten des Neuaufbaus, diese Next Generation EU zu werden, die wir so oft ansprechen.
Deshalb lade ich Euch alle ein, die Möglichkeiten zur Teilnahme zu nutzen, welche die italienischen und deutschen Institutionen Euch anbieten, angefangen beim Spinelli-Forum. Wenn Euch die Themen interessieren, bewerbt Euch für die nächste Ausgabe, die in Italien stattfinden wird!
Und auf europäischer Ebene: Seid stolz auf Euer Studium, das Euch zu profunden Kennern des heutigen Europas macht, und seid mutig genug, um zu Protagonisten beim Aufbau und der Neubelebung von Beziehungen wie denen zwischen Deutschland und Italien zu werden, die wir niemals als selbstverständlich betrachten dürfen.
Diese Beziehungen dürfen nämlich keinen Endpunkt darstellen, sondern sollten ein solider Ausgangspunkt für einen weiteren Qualitätssprung sein, durch den sich bereits hervorragende Beziehungen in eine echte strategische Partnerschaft verwandeln.
Das ist die Herausforderung, der wir uns gemeinsam mit unseren deutschen Freunden stellen sollten.
Es ist eine systemische Herausforderung, von der die Zukunft Europas abhängt, ein Europa, in dem Deutschland und Italien eine führende Rolle spielen müssen.

Ich hoffe, dass viele von Euch auch selbst Hauptakteure in diesen Beziehungen werden.

* Aus der Rede von Staatspräsident Mattarella während des Mittagessens im Schloss Bellevue anlässlich der Verleihung des Preises der beiden Präsidenten für die kommunale Zusammenarbeit zwischen Italien und Deutschland, 12.10.2021